Montag, 11. Juli 2016

"Der Gast im Garten" von Takashi Hiraide

Ein kleines zartes Buch für Menschen, die eine japanische Seele haben (also solche wie ich ...). Da wird von Menschen erzählt, die es vollkommen selbstverständlich finden, sich zu einer bestimmten Tageszeit im Sommer in den Garten zu begeben, um darauf zu hoffen, dass eine ganz bestimmte Libelle sich wieder auf ihren ausgestreckten Arm setzen wird. Menschen, die sich in ihrem Haus auf den Boden legen, um stundenlang die Veränderungen des Lichts durch das Oberlichtfenster zu beobachten. Menschen, die untröstlich sind, weil ihnen verwehrt wird, auf das Grab einer geliebten Katze einen Blumenstrauß zu legen.

Worum "geht" es in diesem Roman? Um eine kleine, schöne, den Nachbarn zugelaufene Katze, die auch das Paar mittleren Alters, das nebenan wohnt, regelmäßig besucht und eines Tages angeblich verstorben ist? Um eine alte Villa, die verkauft werden muss, weil die Besitzer ins Altenheim gehen; um das kleine Teehaus auf demselben Grundstück, das für kurze Zeit ein Paradies für das Ehepaar im mittleren Alter war, und nun zusammen mit der Villa einem modernen Wohnblock weichen muss? Um Japan am Beginn der Wirtschaftskrise und die Frage, wie ein Schriftsteller mit kargem Einkommen über die Runden kommen kann? Um eine Katze, die zu einer Seelenfreundin wird?

Die Frau des Paares im mittleren Alter erzählt einmal ihrem Mann von dem Aphorismus eines Denkers, "demzufolge die Beobachtung der Kern einer Liebe sei, die nicht in Gefühlsduselei verfalle". Die Menschen in diesem Buch haben gelernt, in Ruhe und Gelassenheit zu beobachten - die Art, in der Chiibi, die Katze mit dem Glöckchen, auf einen Baum springt, einen Fisch verschlingt. Der Zaun hat ein Astloch, das wie eine camera obscura wirkt; entzückt werden die Wirkungen betrachtet, die durch am Astloch vorbeigehende Passanten ausgelöst werden. Die Pflanzen, das Licht, der Mond: nichts ist unwichtig, alles wird beobachtet, bedacht, gewürdigt.

Wenn es um überhaupt etwas "geht" in diesem Buch, das eigentlich gar kein Roman ist, dann um den Augenblick und das Wissen um seine Vergänglichkeit. Und ja, es liegt eine leise Melancholie über dem Buch, aber die kleine Katze - ich muss das einfach sagen, das kann ja eine Katzenliebhaberin sonst gar nicht aushalten -, also die kleine Katze ist wohl doch nicht gestorben. Mehr verrate ich jetzt nicht.

Takashi Hiraide "Der Gast im Garten", aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, mit schönen Bildern von Quint Buchholz, Insel Verlag, ISBN 978-3-458-17626-8

2 Kommentare:

  1. Das klingt unbedingt nach einem Buch für die kommenden Ferien!
    Und wie schön Sie diese Beschreibung dazu geschrieben haben, so dass man gar nicht anders kann, als Lust darauf zu bekommen (also ich jedenfalls nicht...)!

    Viele Grüße von
    Helga

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