Donnerstag, 29. September 2016

Amy Sackville "Reise nach Orkney"


Früher las ich ein Buch pro Tag; man traf mich immer mit einem Buch unterm Arm an; sogar beim Warten an der roten Ampel klappte ich mein Buch auf und las rasch ein paar Zeilen. Heute lese ich privat nur noch selten Belletristik. Mich ermüden dieses Kreisen um das eigene Ich (das es gar nicht gibt ...) und die unendlichen Beziehungsdramen, die der "Stoff" sind, aus dem Romane im Allgemeinen bestehen. Aber ab und an bekomme ich von der Redaktion einen Roman auf den Schreibtisch, den ich nach einer Seite schon so liebe, wie ich früher Bücher liebte. Vor ein paar Monaten bekam ich also das Buch "Reise nach Orkney" von Amy Sackville.

Der Literaturprofessor Richard heiratet seine vierzig Jahre jüngere beste Studentin; sie wünscht sich die Hochzeitsreise auf eine einsame Insel der Orkneys, einem Archipel in Schottland. Es ist Herbst, die See ist rau, der Wind tobt; die Frau, deren Namen wir nie erfahren, ist in ihrem Element, sitzt stundenlang am Strand, spricht mit den Robben und wird immer mehr zu einem wilden Wesen der Natur. Während Richard am Fenster steht, seine Frau nicht aus den Augen lässt und nichts von ihr begreift, absolut nichts.Weil er zu ihrem Inneren keinen Zugang findet, versucht er, sie über ihr Äußeres zu begreifen und verfängt sich doch nur in seinen eigenen Projektionen. (Das kennt wohl jede Frau, die ein wenig anders ist als andere, vielschichtiger, nicht einzuordnen, nicht festzuhalten ...) Kann Richard dieses Naturwesen wirklich in seine kleine Londoner Wohnung mitnehmen, um mit ihm stille Abende am Kamin zu verbringen?

Also doch ein "Beziehungsdrama"? Nein. Hier werden Atmosphären evoziert, unterschwellige Stimmungen hörbar gemacht, ohne sie zu benennen. Wie bei jedem Buch interessiert mich auch bei diesem die Geschichte im Grunde nicht. Mich interessiert Sprache - genaue, schöne, leuchtende, ungewöhnliche Sprache. Amy Sackville findet immer neue Bilder für den Wechsel des Lichts, für Kälte und Wärme, für das Aufbäumen des Meeres im Sturm. Die Sprache ist das eigentliche Ereignis des Buches.


Amy Sackville "Reise nach Orkney", wunderbar übersetzt von Eva Bonné, Luchterhand Verlag, ISBN 978-3-630-874357

Hier (klick) meine Besprechung im SWR zum Hören

Dienstag, 27. September 2016

Weitblick


... mal wieder den weiten Blick einschalten ... 

... in der klaren Luft, in der man atmen kann und besser sieht ... 

... und manches, was vorher so riesig aussah, ist auf einmal ganz klein ... 

... so klein, dass man damit spielen könnte ...

... so hübsch auch und harmlos, wie man das noch nie bemerkt hatte ...

... und diesen Weitblick dann mit ins Tal nehmen und nicht zulassen, dass er an Mauern zerschellt ... 

(Sonntag auf dem Kandel)